18. Januar 2008
"Neue Dübel - alte Mauern" - BUND gegen Wiederinbetriebnahme der Blöcke A und B des AKW Biblis
Von: BUND Hessen
Frankfurt. Nach Auffassung des BUND bestehen auch nach Austausch der fehlerhaften Dübel im AKW Biblis erhebliche Risiken aufgrund mangelhafter Erdbebenfestigkeit wichtiger Anlagenteile. So besteht die Gefahr, dass Leitungen reißen oder Regelungssysteme ausfallen.
Dietzel: Verbesserungen in Biblis sind notwendig
Der BUND verweist auf eine Mitteilung von Umweltminister Dietzel vom 1.11.2006, dass Notwendigkeiten bestehen, Verbesserungen des sekundären Wasserkreislaufes gegen Störfälle von innen und gegen Erdbeben, Verbesserungen gegen Kühlmittelverlust sowie Verbesserungen des Überflutungsschutzes und bei der Wasserstofffreisetzung bei Notstandsereignissen beim Block Biblis A durchzuführen (Landtagsdrucksache 16/6052).
Für einen Skandal hält es der BUND, dass nach Auffassung der Landesregierung diese Nachrüstungen "aus Verhältnismäßigkeitsgründen" gemäß einer Vereinbarung mit dem RWE nur "für den Fall der Laufzeitverlängerung" umzusetzen seien.
Warum werden festgestellte Sicherheitsmängel nicht behoben?
Werner Neumann, BUND-Energiesprecher: "Auch wenn nach dem "Kalkar-Urteil" das sogenannte Restrisiko der Atomkraftnutzung hinzunehmen ist, es handelt sich dabei um Risiken, die jenseits der Vorstellbarkeit liegen, so sollte doch unstreitig sein, dass festgestellte Sicherheitsmängel zu beheben sind, unabhängig von der Laufzeit der Atomreaktoren. Sind diese Mängel nicht zu beheben, dann muss die Betriebserlaubnis entzogen werden. Da beide Blöcke des AKW Biblis gravierende Sicherheitsmängel aufweisen und diese auch nicht durch Nachrüstungen zu beheben sind, müssen Biblis A und B sofort und endgültig stillgelegt werden."
Zu bestehenden Gesundheitsgefahren der Atomkraftnutzung im Regelbetrieb verweist der BUND auf die kürzlich veröffentlichte "Kinderkrebsstudie" (KIKK), die gezeigt hat, dass das Risiko für Kinder unter 5 Jahren, an Leukämie zu erkranken zunimmt, je näher ihr Wohnort an einem Atomkraftwerk liegt.
Werner Neumann: "Was vor einigen Jahren nur ein Verdacht war oder stets geleugnet wurde, ist nun Fakt. Es ist unverantwortlich, aus der Studie den Schluss zu ziehen, dass es ja nur "wenige zusätzliche" Fälle im 5km-Radius seien."
Höheres Kinderkrebs-Risiko bis 50 km um Atomkraftwerke
Der BUND verweist auf die Stellungnahme des externen Expertengremiums des Bundesamtes für Strahlenschutz zur KiKK-Studie. Darin heißt es unter anderem:
"Statt der von den Autoren (der KIKK-Studie) allein für die 0-5 km Region angegebenen zusätzlichen 29 Krebsfälle bei Kindern unter 5 Jahren muss von mindestens 121-275 zusätzlichen Neuerkrankungen im Umkreis von 50 km um alle westdeutschen Atomstandorte im Zeitraum zwischen 1980-2003 ausgegangen werden. Dies entspricht 8-18 % aller im 50 km Umkreis um Atomanlagen aufgetretenen Krebserkrankungen bei unter 5jährigen Kindern. Die Autoren (der KIKK-Studie) schreiben, dass "... aufgrund des aktuellen strahlenbiologischen und strahlenepidemiologischen Wissens die von deutschen Kernkraftwerken im Normalbetrieb emittierte ionisierende Strahlung grundsätzlich nicht als Ursache interpretiert werden kann." Im Gegensatz zu den Autoren (der KIKK-Studie) ist das externe Expertengremium einhellig der Überzeugung, dass aufgrund des besonders hohen Strahlenrisikos für Kleinkinder sowie der unzureichenden Daten zur Emissionen von Leistungsreaktoren dieser Zusammenhang keinesfalls ausgeschlossen werden kann."
Der BUND weist die Behauptung zurück, die Häufung und Zunahme der Leukämiefälle könne nicht durch Radioaktivität zustande kommen, weil die bekannte Freisetzung von Radioaktivität aus Atomkraftwerken zu niedrig sei.
Radioaktivität um Faktor 10 bis 100 unterschätzt
Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Inge Schmitz-Feuerhake zeigen, dass die Dosis aufgrund des radioaktiven Fallouts, z.B. bei Betroffenen von Tschernobyl, um den Faktor 10 bis 100 unterschätzt wurde. Radioaktivität ist sehr wahrscheinlich viel gefährlicher als bisher unterstellt wurde.
Werner Neumann: "Allein dies müsste Grund genug sein - auch für die Hessische Landesregierung - diese Befunde ernst zu nehmen und die Radioaktivitätsemissionen von Biblis und die Leukamiefälle genauer unter die Lupe zu nehmen. Statt dessen bietet die Landesregierung nur Abwiegelung. Kritische Wissenschaftler und verantwortungsvollen Ärzten/Ärztinnen wird sogar Panikmache vorgeworfen."
Die zwischen Bundesregierung und Energieversorgern vereinbarten Restlaufzeiten betragen nur noch wenige Jahre. Ungeachtet der bestehenden Sicherheitsdefizite fordert der AKW-Biblis-Betreiber RWE eine Verlängerung der Laufzeiten beider Blöcke. Der BUND kritisiert, dass die hessische Landesregierung dieser Forderung nicht entgegentritt, sondern sie vielmehr massiv unterstützt.
Laufzeitverlängerung ist unverantwortbar
Für den BUND ist angesichts der Geschichte der Störfälle beider Blöcke eine Laufzeitverlängerung unverantwortbar: So ist 1987 im Block A nur knapp ein Super-GAU vermieden worden. Es gab darüber hinaus Stromausfälle nach Blitzeinschlag, die eine Notstromversorgung erforderlich machten. Die Notstromversorgung selbst ist aber nur ungenügend gegen Ausfall abgesichert. Auch traten Störfälle auf, die in den Störfallmodellen gar nicht vorausgesehen wurden. Stellte sich doch heraus, dass seit Baubeginn Wasserdurchlässe (sogenannte Sumpfsiebe) nicht ausreichend groß dimensioniert waren. Auch der aktuelle Fall einer Montage tausender fehlerhafter Dübel wurde nur "per Zufall" entdeckt.
Eines der größten Risiken für die Sicherheit eines AKW ist der Absturz eines großen vollgetankten Passagier- oder Frachtflugzeugs. Block A ist nur gegen den Absturz einer leichten Militärmaschine ausgelegt.
Werner Neumann. BUND-Energiesprecher: "Während die hessische Landesregierung, aber auch die FDP, Hinweise auf diese Risiken als "Panikmache" abtun, hat dennoch das Umweltministerium im vergangenen Jahr eine Genehmigung für ein "Tarnsystem mit steuerbarer Rauchentwicklung" erteilt. Ein eindeutiges Eingeständis, dass das Risiko eines Flugzeugabsturzes real besteht und durchaus nicht vernachlässigbar ist."
Das Risiko "Flugzeugabsturz" ist real
Der BUND kritisiert, dass es für die deutschen Atomkraftwerke keine volle Haftpflichtversicherung gibt. Die Atomkraftwerksbetreiber müssen lediglich eine sogenannte Deckungsvorsorge in Höhe von 2,5 Milliarden Euro vorhalten.
Hans Ackermann, Sprecher des Landesarbeitskreises Energie im BUND Hessen: "Studien haben gezeigt, dass bei einem Super-GAU im AKW Biblis Schäden im dicht besiedelten Rhein-Main-Neckar-Raum in Billionen-Höhe zu erwarten sind. Die Bevölkerung trägt nicht nur das Risiko für Leben und Gesundheit bei einem schweren Reaktorunfall, sondern wird auch finanziell nicht angemessen entschädigt werden."
Mangelnde Katastrophenplanung
Der BUND kritisiert darüber hinaus, die Katastrophenplanung des Landes Hessen und des AKW-Biblis-Betreibers RWE. Evakuierungen aus der Region Biblis sollen nur im Umkreis von 30 km erfolgen. Wie der Reaktorunfall von Tschernobyl und eine aktuelle Studie des Öko-Institut nochmals gezeigt haben, kann sich die Radioaktivität auch über 50, 100 oder 200 km ausbreiten. Zwar werden mittlerweile Jod-Tabletten in zentralen Orten zur Verteilung bereitgestellt. Allerdings wurde die Bevölkerung bislang nicht ausreichend darüber informiert, wo diese Tabletten im Ernstfall zu bekommen sind.
Werner Neumann: "Bei einer Reaktorkatstrophe ist ein furchtbares Chaos zu erwarten, dem man mit Evakuierungsplänen und der Verabreichung von Jodtabletten nicht beikommen wird."
Das Risiko der Atomkraftnutzung ist nicht verantwortbar. Dies gilt umso mehr, als mit der Atomkraftnutzung weitere Probleme verbunden sind. Der BUND verweist auf die ungelöste Frage der Endlagerung jahrzehntausende lang strahlenden Atommüll. So droht für das Versuchsendlager im aufgelassenen Salzbergwerk Asse II der GAU durch unkontrollierbaren Wassereinbruch und Freisetzung radioaktiver Stoffe ins Grundwasser.
Der BUND ist überzeugt, dass eine Politik, die in der Energieversorgung auf Atomkraft setzt, einen völligen Bankrott erlitten hat. Dies umso mehr, als Alternativen vorhanden sind.
Atomstrom kann sofort ersetzt werden
Für eine zukunftsfähige, sichere und risikoarme Energieversorgung kann auf Atomstrom völlig verzichtet werden. Durch eine Kombination von Stromeinsparung, Kraft-Wärme-Kopplung und Strom aus erneuerbaren Energien ist der Ersatz der Atomenergie auch ökonomisch sinnvoll.
Werner Neumann. "Leider hat die Landesregierung die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung und von Stromsparprogrammen eingestellt. Gegen Strom aus Windenergie wird Stimmung gemacht. Demgegenüber sorgt der Zuwachs von Strom aus erneuerbaren Energien (auf über 14% Anteil bundesweit) Jahr für Jahr für den Ersatz des Strom aus einem AKW. Insofern muss man nicht nach den Alternativen suchen, diese sind schon da."
Der BUND ist überparteilich, aber parteiisch für Energiewende und Klimaschutz. Er ruft daher die Wählerinnen und Wähler dazu auf, am 27. Januar für Atomausstieg und Klimaschutz zu stimmen.
Rückfragen: Michael Rothkegel, BUND-Geschäftsführer 069 67737612 oder 0175 2298549