9. September 2008
Biblis-Region übt für die Atomkatastrophe
Von: IPPNW
Behörden und der Biblis-Atomkraftwerksbetreiber RWE üben den Ernstfall: Am 12. und 13. September findet in der Region um das hessische Atomkraftwerk Biblis die Katastrophenschutzübung "Biblis 08" statt. Medien und Öffentlichkeit sollen möglichst wenig davon mitbekommen, wenn in aller Frühe acht mobile Strahlenspürtrupps in Schutzanzügen im Landkreis Bergstraße auf den Feldern ihre Messinstrumente erproben oder wenn in der Lampertheimer Hans-Pfeiffer-Halle eine Notfallstation eingerichtet wird. Die Betriebsmannschaft von RWE trainiert zudem einen "Schichtwechsel". Zuletzt fand 2001 eine vergleichbare Katastrophenschutzübung in der Region statt.
Simuliert werden lediglich die Folgen eines "schweren Atomunfalls" der Stufe 6 auf der internationalen Bewertungsskala INES. Hierbei kommt es zu "erheblichen" Freisetzungen von Radioaktivität. Die höchste Stufe 7, der "katastrophale Unfall" mit "schwersten" Freisetzungen wie in Tschernobyl, bleibt unberücksichtigt. Nach der "Deutschen Risikostudie Kernkraftwerke" aber kann sich in Biblis jederzeit ein "katastrophaler Unfall" ereignen, beispielsweise schon dann, wenn es wie am 8. Februar 2004 in Folge eines Unwetters zum "Notstromfall" in dem Atomkraftwerk kommt. Einem internationalen OECD-Vergleich zufolge ist die Kernschmelzfestigkeit des deutschen Atommeilers Biblis katastrophal schlecht.
Nach Auffassung der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW zeigt bereits die aktuelle "Notfallschutz"-Broschüre von RWE, wie hilflos man einem Atomunfall in Biblis gegenüber steht. "Da finden sich so paradoxe Empfehlungen für die Bevölkerung, einerseits zu Hause zu bleiben, andererseits aber die Wohnung zu verlassen", kritisiert IPPNW-Atomexperte Henrik Paulitz. Wörtlich heißt es in der RWE-Broschüre (S. 14): "Warum ins Haus gehen und dort bleiben? ... Überprüfen Sie, ob Fenster und Türen möglichst dicht geschlossen sind. ... Gehen Sie nur dann ins Freie, wenn es unbedingt notwendig ist." Andererseits kann es aber erforderlich werden, das Haus zu verlassen, um Jodtabletten abzuholen (S. 15): "Sie können diese Tabletten nach einem erfolgten Aufruf über den Rundfunk oder nach entsprechenden Lautsprecherdurchsagen bei den in Ihrer Gemeinde eingerichteten Ausgabestellen abholen."
Es kann auch nötig werden, die Bevölkerung zum Zwecke einer vollständigen Evakuierung aufzufordern, ihre Häuser zu verlassen. Sofern man hierbei kontaminiert wird und keine der wenigen Notfallstationen in der Nähe ist, dann soll man sich bei der hektischen Flucht auf der Landstraße oder in einem fremden Ort nach einer verfügbaren Dusche umsehen (S. 19): "Was tun, wenn man der Strahlung ausgesetzt war? ... Sollten Sie an keiner Notfallstation vorbei gekommen sein, so legen Sie vorsorglich die Oberbekleidung ab, waschen oder duschen sich gründlich und legen frische Oberbekleidung an."
Die Flucht wird nach Einschätzung der IPPNW zudem dadurch erschwert, dass grüne Schilder mit weißen Pfeilen den Fluchtweg markieren sollen, während rosa Schilder für die Einsatzkräfte bestimmt sind und geradewegs in die verseuchten Gebiete führen (S. 17 u. 37): "Fahren Sie bitte bei einer Evakuierung auf den vorgesehenen Straßen. ... Folgen Sie bitte den grünen Schildern mit weißem Pfeil. Rosa Schilder sind für die Einsatzkräfte bestimmt!"
Das "primäre Übungsziel" des für das diesjährige Training federführenden Landkreises Bergstraße, im Katastrophenfall "klare und widerspruchsfreie Verhaltensempfehlungen an die Bevölkerung veröffentlichen zu können", dürfte nach Einschätzung der IPPNW ein schwerlich zu verwirklichendes Ziel sein.
Die Ärzteorganisation empfiehlt als Vorsorge: "Kopf einschalten. Biblis abschalten."