11. Mai 2010

Atomstrom-Dealerei auf Kosten der Sicherheit - Strommengen-Verschiebung wäre Vertragsbruch

Von: BUND Bergstraße

Der Kreisverband Bergstraße des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) protestiert gegen die Ankündigung des Energieversorgers Eon, fast fünf Terrawattstunden Strom aus seinem 2003 in Niedersachsen stillgelegten Atommeiler Stade auf das hessische Atomkraftwerk Biblis A des Energieversorgers RWE zu übertragen. Die Umweltschutzorganisation fordert Bundesumweltminister Norbert Röttgen und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, gegen dieses Vorhaben einzuschreiten.

Zur geplanten Laufzeitverlängerung des AKW Biblis A mit Hilfe von Reststrommengen des AKW Stade erklärt Guido Carl, Vorsitzender des BUND-Kreisverbands:
„Das Vorhaben ist illegal und gefährlich: Auf das AKW Biblis A dürfen keinerlei Reststrommengen übertragen werden, sei es aus Stade oder von irgendeinem anderen Reaktor. Das steht im Anhang 2 des ‚Atomkonsens’-Vertrags aus dem Jahr 2000, den der Biblis-Betreiber RWE selbst unterzeichnet hat. Grund für diese Regelung sind die gravierenden Sicherheitsdefizite des Uralt-Meilers Biblis A wie mangelhafter Schutz gegen Erdbeben, Flugzeugabstürze und Terrorangriffe."
Vor diesem Hintergrund bewertet es der BUND auch als positiv, dass die Bergsträßer SPD sich auf ihrem Parteitag ausdrücklich zum Ausstieg aus der Atomkraft bekannt hat.

In den Atomkonsens-Verhandlungen hatte die Bundesregierung wegen der kurzen Restlaufzeit auf dringend nötige Sicherheitsnachrüstungen für Biblis A verzichtet und damit für Biblis A ein niedrigeres Sicherheitsniveau als in anderen Atomanlagen akzeptiert. RWE ersparte dies kostspielige Nachrüstungen in dreistelliger Millionenhöhe. Im Gegenzug stimmte der Betreiber zu, die Restlaufzeit von Biblis A auf eine Stromproduktion von 62.000 GWh zu begrenzen.
RWE verzichtete also auch auf die Möglichkeit, Strommengen von älteren oder abgeschalteten Reaktoren auf Biblis A zu übertragen. Eine Strommengenübertragung von Stade auf Biblis A, wie sie Eon und RWE ausgehandelt haben, ist deshalb ein klarer Vertragsbruch.

Guido Carl: "Wenn die RWE-Manager Biblis A weiter betreiben wollen, um damit pro Jahr einige hundert Millionen Euro zusätzlich zu verdienen, dann ist das keine Angelegenheit, die sie mit Eon hinter den Kulissen aushandeln dürfen. Nicht nur die Risiken von Biblis, sondern auch die ungelöste Entsorgung des Strahlenabfalls und die Skandale um Gorleben und Asse müssen Umweltminister Röttgen und Kanzlerin Merkel dazu bringen, jede Atomstromdealerei auf Kosten der Sicherheit der Bevölkerung zu stoppen."

Ein weiterer Grund zur Beschleunigung anstelle einer Verzögerung des Atomausstiegs ist die Tatsache, das Deutschland seinen Strom im Jahr 2050 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen beziehen muss. Nur dann ist gewährleistet, dass die nationalen und internationalen Klimaschutzziele erreicht werden. Ein verzögertes Abschalten von Atomkraftwerken bremst jedoch Investitionen in erneuerbare Energien.

Hintergrund

Als Folge des Beinahe-GAU in Biblis A am 16./17.Dezember 1987 erließ 1991 die (damals CDU-geführte!) hessische Landesregierung unter Minister Weimar 49 Auflagen zur sicherheitstechnischen Nachrüstung des Reaktors. Unter anderem verlangte sie den Bau einer unabhängigen Notstandswarte, von der aus das AKW auch bei einem Brand oder Unfall noch gesteuert und heruntergefahren werden können sollte. RWE zögerte die Umsetzung der Auflagen jahrelang hinaus.

Im Rahmen des "Atomkonsens" wurde für Biblis A eine Sondervereinbarung getroffen (Anhang 2 der Konsensvereinbarung und Erklärung des BMU vom 29.8.2000). Sie sah ein Paket von 20 Nachrüstungsmaßnahmen vor, die das BMU als besonders vordringlich ansah, und die bis Ende 2001 umgesetzt werden mussten. Von 1999 bis zum Ende der Revision 2005 wurden insgesamt 57 Maßnahmen mit Gesamtkosten von 270 Mio Euro umgesetzt, von denen sich 30 auf "Weimar-Auflagen" bezogen.

Wichtige Punkte wie das fehlende Notstandssystem und ein ausreichender Erdbebenschutz wurden allerdings nach wie vor nicht verwirklicht. Mit der Begründung, wegen der relativ kurzen Restlaufzeit seien die Kosten für die entsprechenden Nachrüstungen dem Betreiber nicht zuzumuten, erklärte sich das BMU im Rahmen des Atomkonsenses zu diesen Zugeständnissen bereit. Im Gegenzug sicherte das RWE zu, keine Strommengen auf Biblis A zu übertragen, den Reaktor nach Aufbrauchen der Reststrommenge also definitiv stillzulegen.