22. September 2005

Frankfurter Flughafen: NW-Variante erzeugt die meisten Fluglärmbetroffenen

Von: BUND Hessen

Frankfurt. Durch den Bau der von Ministerpräsident Roland Koch frühzeitig ausgedeuteten Nordwestvariante im Kelsterbacher Wald werden mehr Menschen von Fluglärm betroffen als bei anderen Varianten. Trotz des versprochenen Nachtflugverbots wird die Zahl der nachts gestörten Menschen durch den Ausbau um 40 % steigen. Die Sicherheitsprobleme und die Naturschutzfragen bleiben ungelöst. Das sind die wichtigsten Aussagen der Stellungnahme, die der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), das Bündnis der Bürgerinitiativen kein Flughafenausbau - für ein Nachtflugverbot von 22.00- 6.00 Uhr (BBI) und das Institut zur Abwehr von Gesundheitsgefahren durch Lärm (IAGL) zum Entwurf der Änderung des Landesentwicklungsplans (LEP-Ä) erarbeitet haben und in der sie den Flughafenausbau grundsätzlich ablehnen. Für Rechtsanwältin Ursula Philipp-Gerlach belegt der Entwurf, dass das Raumordnungsverfahren wiederholt werden muss. "Ich rechne nach diesem Entwurf mit einer Fortführung des Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission gegen Hessen", ergänzt die für den BUND, das IAGL und zahlreiche Privateinwender tätige Fachanwältin für Verwaltungsrecht ihre Kritik.

Fast vierhunderttausend Menschen (393.125) wären nach Meinung der Landesregierung durch den Betrieb der geplanten NW-Variante im Kelsterbacher Wald im Rechtssinn tagsüber vom Fluglärm betroffen. Das sind über 5.000 mehr als nach Realisierung der Südvariante, über 14.000 mehr als nach Realisierung der NE-Variante und fast 170.000 mehr als ohne einen Flughafenausbau (Prognosenullfall: 223.434 Menschen). Die Belastung durch die NW-Variante wird damit heute von der Landesregierung viel größer eingeschätzt als noch im Raumordnungsverfahren für den Ausbau des Frankfurter Flughafens (+52.212 Menschen). Weniger Betroffene beschreibt der LEP-Ä für die NW-Variante für die Nacht und für die höheren, besonders starken Lärmbelästigungen am Tag. Trotz des versprochenen Nachtflugverbots von 23.00-5.00 Uhr wird die Zahl der nachts gestörten Menschen um 40 % von heute 208.129 auf dann 292.022 steigen. Gegenüber dem Raumordnungsverfahren bedeutet dies im Ausbaufall eine Steigerung um über 25% (+76.625 Menschen).Das angebliche Nachtflugverbot schafft keine Kompensation der Lärmzunahme am Tag und schützt nicht vor dem Fluglärm in der Nacht, stellen Winfried Heuser für die Bürgerinitiativen und Hartmut Wagner für die IAGL klar.

Die neuen, erschreckenden Zahlen stammen aus dem Entwurf zur Änderung des Landesentwicklungsplanes (LEP-Ä), den der hessische Wirtschaftsminister im Juni diesen Jahres vorgelegt hat. Sie belegen für die Umweltverbände und Bürgerinitiativen, dass der Ausbau des Flughafens im dichtbesiedelten Rhein-Main-Gebiet nicht verantwortbar ist. Die aktuellen Lärm-Prognosen erhalten ihr besonderes Gewicht dadurch, dass sie vom Hessischen Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) vorgelegt wurden, der für die Planfeststellung und die Raumordnung in Hessen zuständig ist. Damit bestätigt die Landesregierung, dass das Raumordnungsverfahren die Lärmkonflikte massiv unterschätzt hat. Es kann nach Meinung der Verbände und Bürgerinitiativen keine Entscheidungsgrundlage mehr sein.

Mit dem LEP-Ä will der Wirtschaftsminister die Bedenken der EU-Kommission im laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen den Flughafenausbau entkräften. Doch: "Die Sicherheitsproblematik ist leichtfertig abgehandelt worden", kritisiert Rechtsanwältin Ursula Philipp-Gerlach. Die Kommission hatte beanstandet, dass das Raumordnungsverfahren nicht berücksichtigt habe, dass die neue NW-Landebahn an das Chemiewerk Ticona heranrücke und das Land damit gegen die Seveso-II-Richtlinie zur Gefahrenvermeidung im Umfeld von Chemieanlagen verstoßen habe. Der LEP-Ä stellt nun fest, dass die Nähe des Flughafens zum Chemiewerk schon heute problematisch ist, will dieses Risiko aber dennoch festschreiben. Die mögliche Gefahrenverminderung durch die sofortige Verlegung der Abflugroute, die heute am Werk vorbeiführt, soll unterbleiben, bis die neue Landebahn genehmigt ist. Rechnerisch würde sich dann, so die Landesregierung, das Risiko zwischen den heutigen Ab- und den künftigen Anflügen entsprechen. Diese Position steht im Widerspruch zur Meinung der Störfallkommission der Bundesregierung, die die Unvereinbarkeit der geplanten NW-Landebahn mit dem Fortbestand des Chemiewerkes festgestellt hat.

Als "indiskutables Parteigutachten" bezeichnet BUND Naturschutzreferent Thomas Norgall den Umgang der Landesregierung mit der drohenden Vernichtung des FFH-Gebietes Kelsterbacher Wald. Ohne jeden Beleg wird im LEP-Ä unterstellt, dass die Eichen im Kelsterbacher Wald im Unterschied zu den benachbarten Waldflächen auch ohne die neue Landebahn absterben und der bundesweit größte Hirschkäferbestand dort verschwinden werde. Im zweiten großen Naturschutzkonflikt, der Zerstörung des prioritären FFH-Lebensraumes "Artenreiche Borstgrasrasen", bestreitet der Wirtschaftsminister einfach dessen Existenz, bezichtigt das Bundesamt für Naturschutz der "Uminterpretation" der FFH-Richtlinie - und übersieht dabei, dass das gescholtene Bundesamt lediglich die mehrfachen Klarstellungen der EU-Kommission selbst übernommen hat.